Oma und Opa auf einem Geldstapel Oma und Opa auf einem Geldstapel
Leistungsempfänger der beruflichen Vorsorge im grenzüberschreitenden Umfeld (Symbolbild)

Die GewinnerInnen unseres Blog-Schreibwettbewerbs zum Thema Steuerrecht stehen fest: Der erste Preis geht an Christine Ledure. Herzlichen Glückwunsch! Lesen Sie hier ihren Beitrag. Wer den zweiten Platz gewonnen hat, erfahren Sie im Januar hier auf unserem Kalaidos Blog.

In seinem Entscheid vom 6. Februar 2020 stellte das Bundesgericht die Zuweisung des Besteuerungsrechts bei Leistungen der beruflichen Vorsorge klar, die an einen Leistungsempfänger ausgezahlt werden, der in einem grenzüberschreitenden Umfeld sowohl im öffentlichen als auch im privatwirtschaftlichen Sektor tätig war1. Aufgrund der derzeit nicht nur international, zwischen Staaten, sondern auch national, zwischen staatlichem und privatem Sektor, weit verbreiteten beruflichen Mobilität ist die praktische Bedeutung dieses Entscheids bemerkenswert.

OECD-Musterabkommen (OECD-MA)

Laut Art. 18 des OECD-MA sind Ruhegehälter aus einer früheren Beschäftigung ausschliesslich im Ansässigkeitsstaat des Leistungsempfängers steuerpflichtig. Bei Art. 18 handelt es sich jedoch um eine lex generalis gegenüber Art. 19 OECD-MA , sodass Art. 18 OECD-MA2 nur Ruhegehälter betrifft, die infolge einer privatwirtschaftlichen Beschäftigung ausbezahlt werden.

Art. 19 Abs. 2 a) des MA hingegen sieht vor, dass „Ruhegehälter (...), die von einem Vertragsstaat oder einer seiner Gebietskörperschaften oder aus einem von diesem Staat oder der Gebietskörperschaft errichteten Sondervermögen (...) für die [diesen Körperschaften] geleisteten Dienste gezahlt werden, nur in diesem Staat besteuert werden“ können („Kassenstaatsprinzip“). Diese Regel gilt jedoch nicht, wenn der Empfänger auch die Staatsbürgerschaft des Ansässigkeitsstaates besitzt oder wenn die Dienste im Zusammenhang mit einer Geschäftstätigkeit des Staates erbracht wurden3.

Die Anwendung der Artikel 18 und 19 OECD-MA führt deshalb zu einem gegensätzlichen Ergebnis, was die Zuweisung der Besteuerungsrechte betrifft, je nachdem, ob die Ruhegehälter „privatrechtlicher“ (Ansässigkeitsstaat) oder „staatlicher“ (Quellenstaat) Natur sind.

Daraus entstehen naturgemäss Schwierigkeiten bei der Auszahlung kombinierter Vorsorgeleistungen4. In einem Lösungsvorschlag sieht der OECD-Kommentar vor, dass bei Übertragung von Ruhegehaltsansprüchen von einem staatlichen auf ein privat finanziertes System Art. 18 OECD-MA zur Anwendung kommt, da die Leistungen nicht „aus einem von [diesen] errichteten Sondervermögen“ ausbezahlt werden5. Im gegenteiligen Fall, d.h. bei einer Übertragung von einem privat finanzierten auf ein staatliches System, gibt der OECD-Kommentar an, dass bestimmte Staaten Art. 19 Abs. 2 OECD-MA anwenden, andere hingegen die Ruhegehaltsansprüche unter ihre jeweiligen Quellen aufteilen; diese letztere Lösung führt jedoch zu administrativen Komplikationen6.

Urteil des Bundesgerichts vom 6. Februar 2020

Es handelte sich im vorliegenden Fall um einen früheren Angestellten eines schweizerischen Privatunternehmens, einer früheren Tochtergesellschaft der Schweizerischen Post, mit Wohnsitz in Thailand, dem von der privatrechtlichen Pensionskasse Post eine Kapitalleistung aus beruflicher Vorsorge ausgerichtet wurde. Da durch die Auszahlung dieser Vorsorgeleistung eine beschränkte Steuerpflicht entstand, unterlag die Leistung laut internem Recht einer Quellensteuer7, wobei dieses Recht ggf. durch das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Thailand beschränkt wurde (DBA CH – TH).

Das BGer legte seinem Entscheid zugrunde, dass in dem Fall, wo ein Angestellter sein Altersguthaben von einer staatlichen Vorsorgekasse auf eine neue, privatrechtliche Pensionskasse überträgt, die Leistungen nicht aus einem vom Staat oder einer seiner politischen Unterabteilungen errichteten Sondervermögen gezahlt werden. Somit fällt das Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat zu8. Das BGer stimmt also in diesem Punkt mit der Interpretation des OECD-Kommentars überein9.

Es wird eingeräumt, dass im gegenteiligen Fall, d.h. der Übertragung der Vorsorgefonds von einer privatrechtlichen Pensionskasse auf eine staatliche Vorsorgekasse, eine Aufteilung der Besteuerungsrechte in Betracht gezogen werden könnte; diese komplizierte, schwerfällige Alternative wurde jedoch vom BGer abgelehnt. Die Aufteilungskriterien lassen sich immer schwieriger definieren (Dauer des Arbeitsverhältnisses, Höhe der jeweiligen Vorsorgebeiträge usw.) mit dem offensichtlichen Risiko einer doppelten (Nicht-)Besteuerung10.

Laut BGer ist das ausschlaggebende Kriterium deshalb die letzte vor der Pensionierung ausgeübte Tätigkeit. Dieses Kriterium ist ausserdem am ehesten dazu geeignet, die Wirksamkeit („effet utile“) des DBA zu gewährleisten11; die Besteuerung kombinierter Vorsorgeleistungen kommt somit dem Kassenstaat nur für den Fall zu, dass der Leistungsempfänger unmittelbar vor Antritt seines Ruhestands eine nicht-gewerbliche Tätigkeit für ein Gemeinwesen ausübte12. In allen anderen Fällen steht das Besteuerungsrecht der kombinierten Vorsorgeleistungen dem Ansässigkeitsstaat zu.

Da die letzte vom Steuerzahler ausgefüllte Stelle privatwirtschaftlicher Natur war, hat das BGer entschieden, dass das Besteuerungsrecht deshalb dem Ansässigkeitsstaat zufällt, d.h. lediglich Thailand; die Quellensteuer musste dem Steuerzahler vollständig zurückerstattet werden.

Leistung aus der kombinierten Vorsorge privatrechtlicher / staatlicher Sektor

Schlussfolgerung

Unseres Wissens äussert sich das Bundesgericht hier erstmals über den zeitlichen Aspekt von Art. 19 Abs. 2 OECD-MA und untersucht dabei die Frage der Zuweisung des Besteuerungsrechts von Ruhegehältern im Fall der Zahlung kombinierter Vorsorgeleistungen aus dem staatlichen und privatwirtschaftlichen Sektor.

Dieser Entscheid und die vom BGer vertretene Lösung sind unseres Erachtens zu begrüssen. Vor allem stimmen sie mit der Interpretation der OECD in ihrem Kommentar zu diesen Bestimmungen überein und sind eindeutig, einfach und vorhersehbar.

###

 

1Bundesgericht, Entscheid vom 6. Februar 2020, 2C_510/2018; Steuer Revue 5/2020 S. 375. Siehe auch http://kluwertaxblog.com/2020/05/01/swiss-supreme-court-rules-on-pension-qualification-under-tax-treaty/, aufgerufen am 02.11.20 und https://figestor.com/semaine-10-20-suisse-attribution-internationale-du-droit-dimposer-les-pensions/, aufgerufen am 02.11.20
2„Vorbehaltlich der Bestimmungen in Absatz 2 von Art. 19 (…)“
3Art. 19 Abs. 2 b) und Abs. 3 OECD-MA
4Kommentare zu Art. 19 OECD-MA, Abs. 5.3 ff
5Ebda. Abs. 5.4
6Ebda. Abs. 5.5
7Art. 5 Abs. 1 d) bzw. e) DBG sowie Art. 4 Abs. 2 d) bzw. e) StHG; Art. 95 bzw. 96 DBG; Art. 35 Abs. 1 f) bzw. g) StHG; Art. 11 QStV
8BG 2C_510/2018, Erw. 5.1
9Kommentare zu Art. 19 OECD-MA, Abs. 5.4
10BG 2C_510/2018, Erw. 5.2
11Ebda., Erw. 5.4
12Ebda. 

 


Facebook Twitter Xing LinkedIn WhatsApp E-Mail