Mitarbeitende erklimmen Münztreppe Mitarbeitende erklimmen Münztreppe
Wollen und Können sind grundlegende Bedingung für Leistung, doch um Höchstleitungen erbringen zu können, müssen Mitarbeitende auch ihr ihr Potenzial entfalten dürfen. (Symbolbild)

Der anhaltende Fach- und Führungskräftemangel fordert Unternehmen zunehmend heraus, die erforderlichen Kompetenzen im Unternehmen zu bewahren. Zeichnet sich bereits ein Kompetenz-Gap ab, kann dies die Existenz des Unternehmens gefährden. Um bei personellen Engpässen die Leistungsfähigkeit und den Erfolg hochzuhalten, müssen Unternehmen neben dem Recruiting und der Mitarbeiterbindung sich vermehrt darauf konzentrieren, Talente in der Organisation zu identifizieren und zu fördern.

Auf welcher Entwicklungsstufe befindet sich Ihr Talentmanagement?

Das Talentmanagement hat die Aufgabe, die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mitarbeitenden mit den Anforderungen des Unternehmens in Übereinstimmung zu bringen und so einen signifikanten Beitrag zur Unternehmensentwicklung zu leisten. Für ein erfolgreiches Talentmanagement ist es wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, welche Kompetenzen strategisch relevant sind und intern vorhanden sein müssen.

In der Praxis herrscht allerdings ein unterschiedliches Verständnis davon, wie Talent Management betrieben werden soll (vgl. Widauer, 2022). So gilt in einem Unternehmen nur diejenige Fachkraft oder Führungsperson als Talent («High Potential»), die bereits herausragende Leistungen erbringt und das Potenzial aufweist, mittel- bis langfristig eine Schlüssel- und Führungsposition zu besetzen. Gegenüber einem solchen «exklusiven» Talent Management gibt es Unternehmen, die auf «inklusives» Talent Management setzen. Das heisst, alle bzw. die grosse Mehrheit der Beschäftigten werden aufgrund ihrer individuellen Stärken als Talent bezeichnet und in ihrer Entwicklung gefördert. Ganz gleich ob High Potential oder durchschnittliche:r Performer – neben den Kompetenzen (also dem Können) ist der Erfolg immer auch von der Leistungsbereitschaft und Motivation (Wollen) der Mitarbeitenden abhängig. Schliesslich ist es auch entscheidend, ob sie sich entwickeln dürfen, beispielsweise, ob ihre Vorgesetzten ihnen die Möglichkeit dazu geben. Nur so ist es möglich, Talente zu nachhaltigen High Performern zu entwickeln.

Das Können - Handlungskompetenzen

Eine Person, die über ausreichende Kompetenz verfügt, um sachgerecht bestimmte Dinge zu tun, ist in dieser Hinsicht kompetent. In der Praxis geht man grundsätzlich von vier Kernkompetenzen aus: fachliche Kompetenzen sowie soziale, personale und methodische Kompetenzen. Digitale Anwendungskompetenz (Methodenkompetenz), Lernagilität und Anpassungsfähigkeit (personale Kompetenz) sowie Kundenzentriertheit (soziale Kompetenz) werden gemäss einer Studie von Kienbaum & Stepstone (2021) für die relevantesten Kompetenzen in naher Zukunft gehalten. Eine weitere Umfrage unter 500 Unternehmen und Behörden des öffentlichen Sektors in Deutschland teilt die wichtigsten Zukunftskompetenzen in die vier folgenden Kategorien ein (McKinsey, 2021):

  • Technologische Kompetenzen: Data Analytics & KI, Softwareentwicklung, Nutzerzentriertes Design, IT-Architektur, Hardware/Robotikentwicklung und Quantencomputing
  • Digitale Schlüsselkompetenzen: Digital Literacy, Digital Ethics, Digitale Kollaboration, Digital Learning, Agiles Arbeiten
  • Klassische Kompetenzen: Lösungsfähigkeit, Kreativität, unternehmerisches Handeln und Eigeninitiative, interkulturelle Kommunikation, Resilienz
  • Transformative Kompetenzen: Urteilsfähigkeit, Innovationskompetenz, Missionsorientierung, Veränderungskompetenz, Dialog- und Konfliktfähigkeit

Kompetenzen werden unter anderem durch Bildung, Weiterbildungsmassnahmen und Coaching erworben, ebenso durch Erfahrung, Selbstreflexion, informelles Lernen und eigenverantwortliches Lernen.

Das Wollen – Motivation und Leistungsbereitschaft

Das Wollen hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab: Erziehung, aktuelles Umfeld, berufliche Situation, besondere Bedürfnisse, persönliche Werte, Ziele und Motivation. Intrinsisch motivierte Mitarbeitende finden Befriedigung in der Arbeit selbst und sind bereit, die gewünschte Leistung zu erbringen. Damit Mitarbeitende intrinsisch motiviert bleiben und die volle Leistung erbringen, sollten sie idealerweise ständig im sogenannten „Flow“ sein, sich also weder unter- noch überfordert fühlen, klare Zielsetzungen haben und von unmittelbarem Feedback profitieren. Zu den intrinsischen Motivationsfaktoren gehören Ganzheitlichkeit, Anforderungsvielfalt, Interaktionsmöglichkeit, Autonomie sowie Lern- und Entwicklungsmöglichkeit (Willi Kägi & Egloff, 2017). Demgegenüber stehen extrinsische Motivationsfaktoren wie finanzielle Anreize, äussere Arbeitsbedingungen, Bemühungen von Vorgesetzten und Druck. Je höher die intrinsische Motivation, desto weniger spielen äussere Anreize eine Rolle.

Das Dürfen – Handlungsrahmen

Wollen und Können sind eine grundlegende Bedingung für Leistung – doch das allein reicht für Höchstleitungen noch nicht aus. Mitarbeitende müssen ihr Potenzial auch entfalten dürfen, um eine realistische Chance auf Erfolg zu haben. Dürfen heisst aber nicht nur, Mitarbeitenden erlauben, Fachverantwortung zu übernehmen, Menschen zu führen oder Aufgaben zu delegieren. Die Regeln und Normen im Unternehmen, die Hierarchien, die Organisation und insbesondere das Führungsverhalten müssen Leistung möglich machen. Feste Strukturen oder Abläufe, starres Silodenken, zahlreiche Verbote, eine Angst-Kultur oder autoritäres Führungsverhalten schränken jegliche Kreativität ein und führen früher oder später zu Frustration und Resignation.

Dagegen fördert ein "psychologisch sicheres" Arbeitsumfeld das Wohlbefinden und die Kreativität der Arbeitnehmenden und verbessert den offenen Austausch im Team. In einem Unternehmen, in dem man einander respektiert und vertraut, sind keine Repressalien zu befürchten, wenn Mitarbeitende Fehler machen, bei Unklarheiten nach Hilfe fragen oder Probleme offen ansprechen. Vielmehr ist ein konstruktives Feedback in alle Richtungen (seitlich, nach oben und nach unten) an der Tagesordnung und alle Mitarbeitenden haben das Gefühl, mit ihrer Arbeit zur Erreichung der Unternehmensziele beitragen zu können.

Die methodische Absicherung zur nachhaltigen Talententwicklung

Damit gewünschte Höchstleistungen von Mitarbeitenden und Talenten erbracht werden können, braucht es eine methodische Absicherung. Der sogenannte Funktionszyklus (Becker, 2005) beginnt mit einer Bedarfsanalyse, um die geforderten Qualifikationen und Kompetenzen mit den aktuell vorhandenen abzugleichen. In diese fliessen nicht nur fachliche Kompetenzen mit ein, sondern auch Führungs- und Sozialkompetenz sowie verschiedene Schlüsselkompetenzen. Hier ist es wichtig, auch die Sichtweise der Vorgesetzten und Talente zu berücksichtigen. Denn das Vorhandensein von Kompetenzen und Entwicklungspotenzial zeigt sich am besten in der täglichen (Zusammen-)Arbeit. Aus den daraus folgenden Ergebnissen werden der Entwicklungsbedarf ermittelt, die Entwicklungsziele gesetzt und Instrumente zur Personalentwicklung ausgesucht. Die Realisierung der Massnahmen werden von Qualitätskontrollen und der Transfersicherung begleitet, um positive wie negative Entwicklungen und Resultate verifizieren und dokumentieren zu können. Beispielsweise haben Untersuchungen bei Führungskräfteweiterbildungen gezeigt, dass der Einbezug der direkten Vorgesetzten in Form von Gesprächen während des gesamten Lernprozesses (Vorbereitungs-, Umsetzungs- und Nachbereitungsphase) positive und nachhaltige Lerneffekte hervorbringt (Wick et al., 2006).

Kurz: Erfolgreiches Talent Management heisst die systematische und nachhaltige Entwicklung und Förderung der Leitungspotenziale aller Beschäftigter auf Basis der Unternehmensziele. In vielen überdurchschnittlich leistungsfähigen Organisationen ist Talent Management als permanente Weiterentwicklung und Selbstoptimierung jedes einzelnen Mitarbeitenden etabliert. Diese steuern ihre Entwicklung eigenverantwortlich, beispielsweise über softwarebasierte Self-Learning-Tools, lernen von Peers und dürfen sich für Talent-Pools und -Programme selbst nominieren.

Fazit

Unternehmen, die Höchstleistung und anhaltend zufriedene und motivierte Mitarbeitende haben wollen, müssen das Talentmanagement in ihre strategischen Entscheidungen integrieren sowie alle drei Faktoren konsequent berücksichtigen: Können, Wollen und Dürfen. Menschen entwickeln sich am besten durch die Möglichkeit, diese bei ihrer Arbeit zu vereinen.

Das Können von Mitarbeitenden ist elementar. Zwar haben weder Praxis noch Theorie bisher gute Modelle hervorgebracht bzw. bestätigt, dass Kompetenzen einfach zu erheben und zu messen wären. Und beim Wollen wird es sogar noch etwas schwieriger. Hier müssen sich Vorgesetzte mit der Innenwelt ihrer Mitarbeitenden beschäftigen und den Dialog suchen: Was treibt sie an, was sind ihre Motive, Bedürfnisse, Werte und Einstellungen? Was ist ihnen wichtig und was schafft Freude an der Arbeit? Ausserdem ist eine funktionierende Zusammenarbeit im Team und mit anderen Stakeholdern für das Erbringen von Höchstleistungen entscheidend. Was das Dürfen anbelangt, bedarf es nicht nur offizieller Befugnisse und Richtlinien oder der Regelung von Verantwortlichkeiten. Es muss auch erlaubt, ja sogar erwünscht sein, die eigene Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen und sich mit seinen individuellen Stärken als High Potential in mögliche Karrierewege einzubringen.

Noch ein Wermutstropfen zum Schluss: Muss eine Führungsperson ihre Mitarbeitenden in Low Performer, durchschnittliche Performer und High Performer einteilen, bleibt dies aller ausgeklügelten Metriken zum Trotz immer eine subjektive Entscheidung und nicht selten eine unangenehme Last. Natürlich ist es richtig und wichtig, Ziele zu setzen und seine Mitarbeitenden mit fairem Feedback und guten Ideen bei ihrer Entwicklung zu unterstützen. Dennoch bringen solche Leistungsbeurteilungssysteme Machtverhältnisse und Abhängigkeiten hervor, welche die Entwicklung von potenziellen Talenten mindern können. Flache Hierarchien sowie eine offene und vertrauensvolle Unternehmenskultur, die konstruktive 360-Grad-Feedbacks integriert, können dabei helfen, lern- und hochleistungsfähige Unternehmen zu schaffen.

Autor/in
Irene-Willi

Irene Willi Kägi

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