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Der Begriff der Erwerbstätigkeit im Sozialversicherungsrecht ist in der Praxis mit gewissen Schwierigkeiten verbunden (Symbolbild).

Begriff

Der Begriff der Erwerbstätigkeit im Sozialversicherungsrecht ist praxisgemäss mit Schwierigkeiten verbunden: Nach Art. 12 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrecht vom 6. Oktober 2000 (ATSG) ist diejenige oder derjenige selbständigerwerbend, wer Erwerbseinkommen erzielt, das nicht Entgelt für eine als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer geleistete Arbeit darstellt. Selbständigerwerbende können gleichzeitig auch Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer sein, wenn sie entsprechendes Erwerbseinkommen erzielen (Art. 12 Abs. 2 ATSG). Gemäss dem klaren Wortlaut des Gesetzes ist derjenige oder diejenige, dann als selbständigerwerbend zu qualifizieren, sofern dies keinen Lohn aus einer unselbständigen Erwerbstätigkeit darstellen sollte. Die Abgrenzung zwischen selbständiger und unselbständiger Erwerbstätigkeit im Sozialversicherungsrecht scheint somit einfach: Diese Annahme trügt aber in der Wirklichkeit.

Abgrenzungen

In Wirklichkeit ist die Abgrenzung zwischen der sozialversicherungsrechtlichen selbständigen Erwerbstätigkeit von der sozialversicherungsrechtlichen unselbständigen Erwerbstätigkeit aber häufig mit Problemen verbunden und erfordert eine genaue Einzelfallprüfung (UELI KIESER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, 2. A., Zürich/St. Gallen 2017, S. 150 N 54). Massgebend für die Abgrenzung im Sozialversicherungsrecht ist, ob im Einzelfall eine betriebswirtschaftliche bzw. eine arbeitsorganisatorische Abhängigkeit gegeben ist; ob die beitragspflichtige Person durch Einsatz von Arbeit und Kapital in freibestimmter Selbstorganisation und nach aussen sichtbar am wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt; wer das spezifische Unternehmerrisiko trägt (KIESER, a.a.O., S. 152 N 61).

Die bundesgerichtliche Rechtsprechung stellt bei der Unterscheidung zwischen selbständiger und unselbständiger Erwerbstätigkeit im Sozialversicherungsrecht auf Parameter aus dem Steuerrecht ab (so BGE 115 V 161 E. 9a): Selbständige Erwerbstätigkeit liegt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung im Regelfall vor, wenn der Beitragspflichtige durch Einsatz von Arbeit und Kapital in frei bestimmter Selbstorganisation und nach aussen sichtbar am wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt mit dem Ziel, Dienstleistungen zu erbringen oder Produkte zu schaffen, deren Inanspruchnahme oder Erwerb durch finanzielle oder geldwerte Gegenleistungen abgegolten wird. Nicht als selbständige Erwerbstätigkeit kann aus Sicht der Lausanner Richter anerkannt werden, wenn eine solche nur zum Schein besteht oder keinen erwerblichen Charakter aufweist, wie etwa für die blosse Liebhaberei (BGE 115 V 161 E. 9b). Für die Abgrenzung solcher Tätigkeitsformen von selbständiger Erwerbstätigkeit kommt der Erwerbsabsicht entscheidende Bedeutung zu (BGE 115 V 161 E. 9b).

Relevanz der Unterscheidung

Die Unterscheidung zwischen selbständiger und unselbständiger Erwerbstätigkeit ist im Sozialversicherungsrecht vor allem deshalb relevant, weil nur unselbständig Erwerbstätige in den Genuss der Unterstellung der beruflichen Vorsorge (vgl. Art. 113 Abs. 2 lit. b BV und Art. 7 Abs. 1 BVG [Notwendigkeit der Erreichung eines Mindestlohnes in der beruflichen Vorsorge]) und der Unfallversicherung (vgl. Art. 1a UVG) kommen, welche als Arbeitnehmerversicherungen ausgestaltet sind. Sodann ist die Unterscheidung zwischen selbständiger und unselbständiger Erwerbstätigkeit relevant, weil dies Auswirkungen auf die jeweiligen AHV-Beiträge nimmt: Bei selbständiger Erwerbstätigkeit wird ein AHV-Beitrag von 7.8 Prozent erhoben, der bei tiefen Einkommen auf 4.2 Prozent absinkt (Art. 8 Abs. 1 AHVG). Bei unselbständiger Erwerbstätigkeit werden sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerbeiträge erhoben, wobei sich der AHV-Beitragssatz auf je 4.2 Prozent beläuft (Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 AHVG; sodann KIESER, a.a.O., S. 61 N 52).

Problematiken

Nicht unbesehen kann die Problematik bleiben, dass auch hinsichtlich den einzelnen Sozialversicherungszweigen keine einheitliche Qualifikation zwischen selbständiger Erwerbstätigkeit und unselbständiger Erwerbstätigkeit besteht (zum Ganzen KIESER, a.a.O., S. 156 ff.), wie am Beispiel des Verwaltungsratsmitglieds einer AG dargestellt werden kann: Dieser wird sozialversicherungsrechtlich als unselbständiger Erwerbstätiger qualifiziert, wobei er aber nicht in den Genuss der obligatorischen Unfallversicherung (als «klassische Arbeitnehmerversicherung») kommt, weil Mitglieder von Verwaltungsräten im Unfallversicherungsrecht für diese Tätigkeit nicht obligatorisch unfallversichert sind (Art. 2 lit. f UVV).

Autor/in
Dr. iur. Marco Weiss

Dr. iur. RA Marco Weiss

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