Shibuya Shibuya
Shibuya – Zentrum der modernen Kultur Tokios (Bild: Kalaidos FH)

Die Faszination für Japan begleitet mich schon lange und als Japanologin konnte ich während sowie nach meinem Studium insgesamt vier Jahre in Japan verbringen. Nun durfte ich im Rahmen des CAS FH in International Management eine Studienreise nach Japan zum Thema «Digitale Gesellschaftstransformation» planen und habe mich voller Vorfreude an die Organisation gemacht. Dieses Thema ist besonders spannend, da Japan in einigen Bereichen als Vorreiter der Digitalisierung bekannt ist, während es in anderen mit Herausforderungen zu kämpfen hat. Im November 2022 war es dann endlich soweit! Japan hat seine Grenzen seit Beginn der Pandemie im Oktober 2022 wieder für Tourist:innen geöffnet und für mich war es eine Gelegenheit, nach sechs Jahren wieder nach Japan zurückzukehren. Ich war sehr gespannt, welche Veränderungen mich erwarteten.

Zwischen Tradition und Moderne

Die Notwendigkeit von digitaler Transformation ist in allen Bereichen der japanischen Gesellschaft, vor allem in der Regierung und in der Wirtschaft, unabdingbar geworden. Der Digitalisierung stehen einige selbst auferlegte Beschränkungen im Wege: eine kontextabhängige Kultur mit einer risikoscheuen Denkweise, Führungskräfte, die sich eher auf die Langlebigkeit als auf die Produktivität von Unternehmen konzentrieren, eine begrenzte Exposition einiger Branchen gegenüber globalen Wettbewerbern, eine festgefahrene Situation zwischen einem privaten Sektor, der auf die digitale Unterstützung durch die Regierung wartet, und einer Regierung, die darauf wartet, dass der private Sektor vorankommt (McKinsey, 2021).

Die Pandemie wurde zu einem Katalysator für die digitale Transformation und hat die Behörden gezwungen, schneller umzustellen. Es wird jedoch einige Jahre dauern, bis man sieht, ob die getroffenen Massnahmen und Anstrengungen erfolgreich sein werden (Iida, 2020).

Digitale Technologien helfen Grenzen zu überwinden und Menschen zusammenzubringen

Während der Reise besuchten wir unter anderem verschiedene Firmen, Universitäten und Gesellschaften und erhielten so einen Einblick in diverse Aspekte der Digitalisierung. Für mich waren die Besuche bei teamLab und meleap am eindrücklichsten und zwei der besten Beispiele, wie die Digitalisierung und Innovationen die Gesellschaft beeinflussen.

teamLab ist ein 2001 in Tokio gegründetes interdisziplinäres Kunstkollektiv, dessen Team aus Künstler:innen, Programmier:innen, Ingenieur:innen, CG-Animator:innen, Mathematiker:innen und Architekt:innen besteht. Sie kreieren interaktive Kunstwerke sowie Ausstellungen weltweit. Dabei nutzen sie Technik und sensorische Erfahrungen, um das Erlebnis für Besucher:innen so eindrücklich wie möglich zu gestalten. teamLab verfolgt verschiedene Konzepte, in dessen Mittelpunkt die Überwindung von Grenzen steht; die Grenze zwischen Ländern, zwischen Kunst und Körper und viele mehr. Kunst ohne Grenzen soll die Interaktion von Besucher:innen in verschiedenen Ländern mit den Kunstwerken und untereinander ermöglichen. In diesem grenzenlosen Raum sollen Besucher:innen unabhängig von Geschlecht, Rasse, Ort oder Behinderung, Kunst erleben und miteinander interagieren und somit die Erfahrungen gegenseitig beeinflussen und teilen. Wir hatten die Möglichkeit nach dem Besuch bei teamLab, auch deren Museum in Tokio zu erleben. Obwohl ich schon viele Museen besucht habe, war dies eine einzigartige Erfahrung für alle Sinne. Kunst auf diese interaktive Art zu erfahren und Menschen einander näher zu bringen, ist für mich zukunftweisend.

Eine weitere eindrückliche Erfahrung war für mich der Besuch bei meleap und der Vortrag dessen CEO Hiroshi Fukuda. Gegründet 2014 hat sich meleap zum Ziel gesetzt, die Welt des Techno-Sports zu revolutionieren. Die Inspiration für Fukuda war Japans Manga- und Anime-Welt und er wollte wie in einem Manga mit Energiebällen werfen können. meleap hat 2016 das Produkt HADO lanciert, bei welchem die Spieler durch Augmented Reality (AR) gegeneinander antreten. Dazu tragen die Spieler:innen AR-Brillen sowie Armbandsensoren und können im Spiel Energiebälle werfen oder sich mit einem Schild schützen.

HADO ist mittlerweile in 39 Ländern vertreten und führt internationale Tourniere durch. So gewann England den Europe Cup im November 2022 in Frankreich. Als nächsten Schritt möchten sie auch die Zuschauer:innen in das Erlebnis mit einbinden, indem diese Spieler:innen oder Teams unterstützen können, egal wo sie sich befinden. Für mich war auch hier extrem spannend zu sehen, wie diese Technologie genutzt werden kann, um Grenzen zu überbrücken und Menschen zusammenzubringen.

HADO-Spiel
HADO-Spiel beim Besuch von meleap (Bild: Kalaidos FH)

Digitalisierung inmitten der Bürokratie

Die Digitalisierung in der Administration und Verwaltung ist eine enorme Aufgabe. Während meiner Zeit als Angestellte eines Gemeindebüros im Norden Japans habe ich selbst erlebt, wie tief die Bürokratie und das Arbeiten mit Papier in Japan noch in den Köpfen verankert ist.

Die Besuche bei der Tokyo Metropolitan Government und auch Japan Digital Transformation Promotion Association (JDXA) haben gezeigt, dass, trotz der vielen Digitalisierungsmassnahmen und innovativen Umsetzungen, es noch viele Herausforderungen zu bewältigen gibt. Gemäss der JDXA sind es vor allem KMUs, lokale Gemeinden und Senioren, die nicht mitmachen bei Digitalisierungsmassnahmen oder die Tools nicht kennen. Eine Umfrage der Organization for Small & Medium Enterprises and Regional Innovation im März 2022 von 1000 KMUs in ganz Japan zum Thema der Förderung von digitaler Transformation hat ergeben, dass ca. 40 Prozent der Firmen keine Absichten haben, Initiativen zur digitalen Transformation zu verfolgen. Demgegenüber haben 50 Prozent die Einrichtung einer Webseite als spezifische Initiative genannt. Dies zeigt, dass viele Firmen noch keine Webseite haben oder noch am Anfang der digitalen Transformation stehen. Die JDXA bietet deshalb Unterstützung für KMUs unter anderem durch das Training von Angestellten, bei der Einführung und Umsetzung digitaler Technologien und fördert die regionale Wiederbelebung.

Es war spannend zu sehen, wie die Tokyo Metropolitan Government (TMG) die Digitalisierung angeht im Vergleich zur JDXA. Die TMG hat ihren Sitz in Shinjuku und verwaltet die Präfektur Tokio mit über 13 Millionen Einwohnern. Wir haben bei unserem Besuch einen Einblick in die «Smart Tokyo Strategy» erhalten, wobei diese Initiativen in verschiedenen Teilen Tokios implementiert und getestet werden. Die Einführung von 5G und 5G-Dienstleistungen spielt dabei auch eine grosse Rolle. So sollen zum Beispiel die Einwohner:innen von Shinjuku bei der Raumentwicklung über einen Digital Twin des Bezirks mitmachen können. Während Tokio als moderne Grossstadt bekannt ist, gehören zur Präfektur jedoch auch ländliche Regionen sowie auch Inseln im Pazifik. Dies stellt die TMG vor grosse Herausforderungen, da die Gebiete verschiedene Bedürfnisse und Voraussetzungen mitbringen.

Während die JDXA im Kleinen arbeitet, hat die TMG grössere Projekte am Start. Beide Organisationen haben jedoch mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen. Dies vor allem, da sich die Bedürfnisse je nach Region und deren Stand bezüglich Digitalisierung stark unterscheiden kann und auch die Einwohner:innen und Firmen animiert und miteinbezogen werden müssen.

Tokio Metropolitan Government
Besuch der Tokyo Metropolitan Government (Bild: Kalaidos FH)

Fazit

Die Erfahrungen aus der Studienreise zeigen, dass Japan noch grosse Herausforderungen vor sich hat und es sich vor allem in den nächsten Jahren zeigen wird, ob die geplanten Initiativen wirken. Der Ansatz von Society 5.0 mit Fokus auf die Lebensqualität der Menschen – und nicht auf den individuellen Wohlstand (Fukuyama, 2018) – sowie andere Initiativen und technische Innovationen bieten spannende Inputs und Denkanstösse für uns.

Quellen und weiterführende Informationen

teamLab. 

meleap. (2020). HADO. 

Japan Digital Transformation Promotion Association. 

Tokyo Metropolitain Government. (2021).

Fukuyama, M. (2018). Society 5.0: Aiming for a New Human-Centered Society. Japan: Japan SPOTLIGHT.

Iida, J. (2020). Digital transformation vs. COVID-19: The case of Japan. Digital Law Journal, 1(2), 8–16. 

McKinsey. (2021, Februar 24). How Japan can make digital 'big moves' to drive growth and productivity. McKinsey Digital.

Organization for Small & Medium Enterprises and Regional Innovation. (2022). Survey on Promotion of DX by SMEs. Japan: Public Relations and Information Strategy Department.

Shibata, S. (2022). Digitalization or flexibilization? The changing role of technology in the political economy of Japan. Review of International Political Economy, 29(5), 1549-1576.

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