Laterale Führung Laterale Führung
Laterale Führung (Symbolbild)

Haben Sie sich als Projektleiter/in oder Fachkraft einer Matrixorganisation schon einmal gewünscht, Sie könnten einfach einen Hebel so umlegen, dass Ihre Teammitglieder oder Kooperationspartner/innen Ihre Ideen vorbehaltlos akzeptieren und im Sinne der von Ihnen angestrebten Lösung handeln? Bei Funktionen ohne Weisungsbefugnis geschieht Führung über andere Formen der Macht: Laterale Führung heisst das Zauberwort, das Faktoren wie Expertentum, Kommunikationsfähigkeit oder persönliche Beziehungen nutzt, damit lateral geführte Personen auf eine gemeinsame Richtung zusteuern. Dieser Beitrag soll Ihnen einige Impulse zur Kunst der seitlichen Beeinflussung geben. 

Hierarchien, die klar regeln, wer das Sagen hat – Normen und Prozesse, die für eine festgeschriebene Kultur und transparente Kommunikation sorgen: In einer solch „perfekten“ Organisation kennt jeder seinen Entscheidungsspielraum, kann das Verhalten anderer vorhersehen, allen vertrauen und jeder weiss immer über alles Bescheid. Die Realität ist häufig anders: Viele arbeiten quer zu den Funktionen, manche auch in flachen Organisationsstrukturen und häufig wird Verhalten zu einem grossen Teil nicht vorgeschrieben. Hier ist das Konfliktpotenzial gross und dementsprechend sind Koordinationsmechanismen gefragt, welche Führung „von der Seite“ erfolgreich machen.

Laterale Führung geschieht aus der organisationalen Rolle heraus

Das Konzept des lateralen Führens besteht darin, das Führungsverhalten einer Person als Ausdruck ihrer organisationalen Rolle in der Organisation zu verstehen. Sind Sie beispielsweise in einer Stabsfunktion oder Mitglied eines Start Ups, leiten Sie ein Projektteam oder eine zeitlich begrenzte Task Force, müssen Sie Gleichgestellte, Höhergestellte oder direkte Vorgesetzte – Vertreter verschiedenster Bereiche und Personen mit unterschiedlichsten Interessen, Auffassungen und Zielsetzungen – ohne hierarchische Legitimation führen. Als „laterale Führungskraft“ brauchen Sie deshalb ein hohes Mass an Rollenbewusstsein.

Beispielsweise kann es in einer bestimmten Situation passend sein, die Rolle des Präsentators einzunehmen und das Gegenüber mit geeigneten Informationen über einen gewissen Sachverhalt aufzuklären. Oder in einer anderen Konstellation ist die Rolle des Coach nötig, der den/die KoordinationspartnerIn dazu bringt, sich selbst zu hinterfragen und so vertiefte Einsichten entstehen. In einer verfahrenen oder verhärteten Situation dient die Rolle des Konfliktpartners oder Mediators, Differenzen zu begleichen und im besten Fall eine Win-Win-Lösung für die beteiligten Parteien zu erreichen.

Koordinationsmechanismen lateraler Führung

Die drei wesentlichen Koordinationsmechanismen der lateralen Führung heissen Vertrauen, Verständigung und Macht (Kühl, S., 2009).

Vertrauen

Vertrauen ist die Basis der produktiven Zusammenarbeit. Die Qualität von Vertrauen hängt von verschiedenen Dimensionen ab:

  • Situationsbasiertes Vertrauen ist noch kein „echtes“ Vertrauen, sondern basiert auf Kosten-/Nutzenüberlegungen in einer bestimmten Situation. Es geht darum, dass Sie Vertrauen schenken, wenn die Nutzenaspekte überwiegen. Müssen Sie sich beispielsweise dringend entscheiden, kann es vorkommen, dass Sie einen Rat befolgen, ohne zu wissen, ob das Vertrauen in die Person gerechtfertigt ist.
  • Eigenschaftsbasiertes Vertrauen beruht auf die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit des Vertrauensnehmers. Bevor Sie einer Person Vertrauen schenken, überlegen Sie also: Wie beurteile ich die Kompetenz dieser Person? Wie integer bzw. wie glaubwürdig ist sie? Kann ich davon ausgehen, dass mein Gegenüber mir gut gesinnt ist und auf meine Bedürfnisse Rücksicht nimmt?
  • Identifikationsbasiertes Vertrauen ist die höchste Stufe des Vertrauens und heisst, sich mit den Werten und Zielen meiner KooperationspartnerInen zu identifizieren sowie deren Bedürfnisse zu respektieren. Die Beteiligten verstehen sich als Gemeinschaft oder Team und verspüren eine gegenseitige Sympathie bzw. emotionale Bindung. Dies erreichen Sie mit enger Zusammenarbeit, Offenheit und regelmässiger Kommunikation.

Verständigung

Wollen Sie Vertrauen erzeugen und die verschiedenen Sichtweisen Ihrer KooperationspartnerInnen unter einen Hut bringen, dann stellen Sie Fragen – denn nur wer sich gehört und verstanden fühlt, ist auch bereit, sich zu bewegen:

  • Welche Ziele verfolgt Ihr Bereich?
  • Worum geht es Ihnen genau?
  • Was bewegt Sie zu Ihrer Haltung?
  • Was wäre für Sie ein akzeptabler Kompromiss?
  • Wo liegen bei Ihnen die Grenzen?

Einigen Sie sich zudem auf Verständigungsprozesse bzw. Regeln für die Kommunikation und den Umgang miteinander – dies, nicht nur um Konflikte zu vermeiden sondern auch um Instrumente für den Konfliktfall in der Hand zu haben.

Macht

Um Macht ausüben zu können, müssen Sie sich im Klaren sein, über welche (persönliche und organisationale) Macht Sie und ihre KoordinationspartnerIn verfügen und welchen Handlungsspielraum Sie in der gegebenen Situation haben. Macht durch hierarchische Position funktioniert in der lateralen Führung nicht. Hier gilt es, aus anderen Ressourcen der Macht zu schöpfen:

  • Macht durch Informationsvorsprung und Fachwissen oder wie das bekannte Sprichwort sagt, „Wissen ist Macht“: Holen Sie Know-how von Experten ein. Zeigen Sie Ihren KooperationspartnerInnen, dass Sie über hochspezifisches Wissen verfügen und wenden Sie dieses situativ an.
  • Macht durch Verbindung zu wichtigen Personen: Bauen Sie eine Beziehung zu wichtigen Schlüsselpersonen auf – sei es zu Auftraggebern, ausgewählten Vorgesetzten oder Meinungsbildnern. Pflegen Sie dieses Netzwerk bewusst, indem Sie dieses regelmässig mit Informationen versorgen und bei Entscheidungen einbeziehen. Denken Sie auch daran, Ihre Gegner um eine sinnvolle Auseinandersetzung und Klärung von Rollen, Aufgaben und Motivationen zu bitten.
  • Macht durch Belohnung: Hier ist nicht unbedingt die finanzielle Belohnung gemeint, sondern Belohnung durch immaterielle Werte wie Aufmerksamkeit, Lob oder Zuwendung. Anerkennen Sie die Leistungen Ihrer KooperationspartnerInnen und bedanken Sie sich für die tolle Zusammenarbeit – nicht per E-Mail sondern persönlich und natürlich nur, wenn Sie das Lob ehrlich meinen. Und vergessen Sie nicht, gemeinsame Erfolg hin und wieder zu feiern.

Fazit

Laterale Führung erfordert ein erhöhtes Rollenbewusstsein, personale Integrität und Kontext-Sensibilität sowie gekonntes Anwenden der Koordinationsmechanismen. Ebenso gilt es, den geeigneten Moment und die notwendige Zeitdauer zu erkennen, um KoordinationspartnerInnen effektiv beeinflussen zu können. Wenn Sie diesen ausserdem mit einer wertschätzenden Grundhaltung und empathischer Kommunikation begegnen, ein ehrliches Interesse am Menschen und an einer Lösung der Situation haben, dann steht der lateralen Führung nicht mehr viel im Wege.

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Quellen und weiterführende Informationen

Cialdini, R. B.(2017). Die Psychologie des Überzeugens (8. Auflage). Bern: Hogrefe.

Kühl, S. (2017). Laterales Führen. Eine kurze organisationstheoretisch informierte Handreichung. Wiesbaden: Springer.

Kühl, S., Schnelle, T. (2009). Führen ohne Hierarchie. OrganisationsEntwicklung. 2, 51-60.

Radatz, S.(2008). Laterale Führung – erfolgreich gelebt. Lernende Organisation. Zeitschrift für systemisches Managment und Organisation, 41, 7-13.

Stöwe, C. (2017). Führen ohne Hierarchie - Laterale Führung: Wie Sie ohne Vorgesetztenfunktion Teams motivieren, kritische Gespräche führen, Konflikte lösen Taschenbuch (2. Auflage). Wiesbaden: Springer.

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