Grundsatz freier Beweiswürdigung - ein Notnagel Grundsatz freier Beweiswürdigung - ein Notnagel
Bild: Kalaidos FH

Vor nicht allzu langer Zeit war die Ankündigung einer Mehrwertsteuer (MWST)-Revision durch die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) einer Hiobsbotschaft gleichzusetzen. War es doch fast keinem Steuerpflichtigen möglich, sämtlichen Anforderungen der ESTV gerecht zu werden. Ein falscher Buchstabe in der Rechnungsadresse, eine nicht aufgedruckte MWST-Nummer - und schon war man mit einer erheblichen Nach- oder Rückforderung der ESTV konfrontiert. Dies war umso stossender, wenn nachgewiesen werden konnte, dass dem Bund keine Einnahmen entgingen.

Im Rahmen der Masterarbeit des Studiengangs MAS MWST FH/LL.M. VAT FH an der Kalaidos Fachhochschule Schweiz / dem Schweizerischen Institut für Steuerlehre ist Herr Eichholzer der Frage nachgegangen, ob mit Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung die Praxis einerseits und die Rechtsprechung andererseits dahingehend geändert wurden, dass reine Formmängel nicht mehr zu Steuernachforderungen seitens der ESTV führen können.

Der gute Wille zählt!

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung im Mehrwertsteuergesetz ist sehr zu begrüssen. Der gute Wille - einer pragmatischeren Umsetzung der Mehrwertsteuer - ist klar erkennbar. Häufig auftretende Formfehler werden nun toleriert. Allerdings ist hervorzuheben, dass (noch) unklar ist, welche Beweismittel in einem Rechtsverfahren von den Instanzen anerkannt werden.

Zu begrüssen: Strikte Trennung von materiellem und formellem Recht

Das neue MWSTG sieht neu eine strikte Trennung von materiellem und formellem Recht vor, was sich am deutlichsten im Grundsatz der freien Beweiswürdigung zeigt. Ausgehend von diesem Grundsatz ist denn auch Art. 28 Abs. 1 MWSTG zu interpretieren, welcher unter anderem den Anspruch auf Vorsteuerabzug im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit für die „in Rechnung gestellte“ Inlandsteuer vorsieht. Wie in der MWSTV klargestellt wurde (Art. 59 Abs. 1 MWSTV), ist damit nicht wie im früheren Recht zwingend eine Rechnung erforderlich, sondern die Erkennbarkeit der Überwälzung der MWST für den Zahlenden.

Aufgepasst bei der Beweiswürdigung!

Die Beweismittelfreiheit und die damit einhergehende freie Beweiswürdigung der entscheidenden Instanzen wird von den Gerichten allerdings eng ausgelegt und darf von den steuerpflichtigen Personen nicht falsch verstanden werden.

Zum einen ändert diese Regelung nichts an der Beweislastverteilung. Steuermindernde Tatsachen sind nach den im gesamten Steuerrecht geltenden Grundsätzen nach wie vor von den steuerpflichtigen Personen zu beweisen. Die Voraussetzungen des Anspruchs auf Vorsteuerabzug stellen solche steuermindernde Tatsachen dar.

Zum andern werden die Beweise von den Entscheidungsinstanzen auf ihre Beweiseignung frei gewürdigt. Deshalb ist nach wie vor eine vollständige Originalrechnung bzw. eine signierte elektronische Rechnung das geeignetste Beweismittel. Nur ein solches Beweismittel ist Garant für die Anerkennung des Vorsteuerabzugsrechts. Dies ist auch der Grund, weshalb Art. 26 MWSTG dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf eine entsprechende Rechnung einräumt.

In einer Fortsetzung erfahren wir mehr vom Autor hinsichtlich dem Beweismittelrisiko beim Vorsteuerabzug und seiner Einschätzung betreffend einer Lockerung der formellen Anforderungen an die Beweismittelfreiheit.  

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