Portrait und Zitat des Interviewpartners Marius Born Portrait und Zitat des Interviewpartners Marius Born
Marius Born ist mehrfach ausgezeichneter Journalist. Nebst seiner journalistischen Ausbildung hat er einen Hochschulabschluss in Ökonomie und Arbeits- und Organisationspsychologie. Er verfügt über mehrjährige Erfahrung als Auftrittscoach. (Foto: Kseniyaborn.ch)

Ganz ehrlich: Sind Sie der geborene Rhetoriker? Der vom Himmel gefallene Held1) der grossen Auftritte? Ist Ihre Brillanz auf der Bühne genetisch bestimmt?

Wahrscheinlich nicht. Denn auch wenn Sie heute Auftritte mögen, ja, vielleicht sogar regelrecht geniessen: Das Gefühl von Unsicherheit vor einem Auftritt kennen Sie bestimmt (von früher, klar). Die Sorge, dass Ihre Botschaft nicht überzeugt oder auf Widerstand stösst, kommt Ihnen vielleicht bekannt vor. Oder die Angst, den Faden zu verlieren. Sich von provokativen Fragen aus dem Konzept bringen zu lassen. Rot zu werden, zu stottern oder zu schwitzen, Ihr wichtigstes Argument zu vergessen, einen peinlichen Versprecher zu machen, eine piepsige oder krächzende Stimme zu bekommen, ein Blackout zu erleben, eine technische Panne zu haben, vor einem gelangweilten oder feindseligen Publikum zu stehen, … .

Ängste und Unsicherheiten, die uns im Rahmen eines wichtigen Auftritts begleiten, sind vielfältig – und weit verbreitet. Wie geht man damit um? Marius Born und Reto Brennwald wissen es. Das schlagkräftige Duo hat sich beim Schweizer Fernsehen kennengelernt. Reto Brennwald war unter anderem Moderator von Rundschau und Arena, Marius Born Leiter Dokumentarfilm, Mitgründer und Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins ECO, verantwortlich für die Sendungsmarken DOK und Reporter, und und und. Die beiden verstehen also definitiv etwas von Medien und Journalismus. Und wir haben Glück: Sowohl Reto Brennwald wie auch Marius Born haben mittlerweile ihre eigenen Beratungsunternehmen, realisieren gemeinsame Projekte, teilen ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit uns und verhelfen Menschen aus Wirtschaft und Politik zu einem wirkungsvolleren Auftritt.

Auftreten tun wir grundsätzlich immer und überall. Sobald wir mit Menschen interagieren, treten wir auf. Folgende drei Auftrittsszenarien sollen Sie durch die Diskussion mit Marius Born begleiten:

1. Als frischgebackener Bereichsleiter eröffnen Sie zum ersten Mal das ganztägige Quartalsmeeting mit Ihrem rund 60-köpfigen Team.

2. Ihr Unternehmen hat sich einen groben Fehltritt erlaubt. Sie werden im Rahmen eines investigativen Interviews von einem Journalisten hart in die Mangel genommen. Das Interview wird aufgezeichnet und später auf SRF ausgestrahlt.

3. Sie verteidigen Ihre Masterarbeit vor zwei spitzfindigen Professorinnen.

Drei sehr unterschiedliche Situationen. Und trotzdem – will man sie souverän meistern, geht es grundsätzlich immer ums Gleiche: um die Psychologie des Auftretens. Wir werden noch ein paar Mal darauf zurückkommen und uns anhören, wie Marius Born uns in diesen Situationen coachen oder welche Tipps er uns mitgeben würde.

Marius Born mussten wir nicht investigativ interviewen und hart in die Mangel nehmen. Er hat uns auf seine smarte, unkomplizierte, offene Art von sich aus erzählt, wie wir es alle (alle!) schaffen, überzeugend und sicher aufzutreten.

Herr Born, sind Sie der geborene Redner? Der begnadete Kommunikator? Oder mussten Sie das Auftreten auch lernen?

Ich bin von meinem Naturell her nicht jemand, der gerne im Mittelpunkt steht. Früher haben mich Auftritte Überwindung gekostet. In einer Führungsfunktion tritt man aber ständig auf – vor grösserem und kleinerem Publikum, vor Kameras oder im internen Kreis. Ich musste und wollte das Auftreten lernen, und heute geniesse ich es, auf der Bühne zu stehen. Meine persönliche Entwicklung hilft mir enorm bei der Arbeit mit meinen Kunden. Ich kann mich gut in jemanden hineinversetzen, der Hemmungen vor dem Rampenlicht hat. Und ich weiss, dass man diese Hemmungen abbauen oder sogar in positive Emotionen umwandeln kann.

Wie ist es Ihnen persönlich gelungen, diese Hemmungen in Freude am Auftreten umzuwandeln?

Ich habe stark an mir gearbeitet. Obschon es mich anfänglich Überwindung kostete, nahm ich jede Gelegenheit wahr, vor Publikum aufzutreten. Nichts ist schlimmer als Routine. Mit der Zeit gelang es mir, das Erlebnis auszukosten. Sogar meine Aufregung fand ich spannend. Dabei nahm ich mir vor, mich selbst nicht so wichtig zu nehmen und mich ganz auf die Aufgabe zu konzentrieren.
Übrigens habe ich dazu auch einen Coach beigezogen. Dabei ging es aber nicht um Auftrittskompetenz, sondern ganz generell um meinen Führungsalltag. Es gibt Momente, da fühlt man sich als Führungskraft einsam. Weil man sich zum Beispiel nicht auf direktes, ungefiltertes Feedback verlassen kann. Rückmeldungen können strategisch gesteuert sein, und den glasklaren Spiegel halten einem wenige vor die Nase. Hier kann jemand Externes definitiv helfen aufzuzeigen, was gut funktioniert und was weniger gut ankommt. An welchen Potenzialen man arbeiten sollte.

Es gibt doch diese brillanten Rhetoriker, diese Charismatiker, die ihr Publikum in den Bann ziehen, begeistern, Wahnsinns-Reden halten … ist das wirklich lernbar?

Diese glitzernden, grossartigen Kommunikatoren sind eher die Ausnahme im Businessalltag. Deswegen fallen sie auf. Und selbst diese brillanten Redner arbeiten ganz hart an sich! Das vermeintliche Improvisieren basiert auf sorgfältigster Planung. Ich denke beispielsweise an Präsentationen von Steve Jobs. Die waren minuziös vorbereitet. Martin Luther King, Barack Obama, all diese grossen Redner überliessen nichts dem Zufall, um für den Zufall gewappnet zu sein. Das klingt paradox. Aber minuziöse Vorbereitung macht Improvisation erst möglich.

Ja, überzeugendes Reden ist lernbar. Das ist eine Technik. Auch souveränes Auftreten und persönliche Ausstrahlung sind formbar. Viele haben Angst davor, sich selbst zu sein und schneiden Teile ihrer Persönlichkeit ab oder imitieren andere. Der Preis der Anpassung kann hoch sein. Jeder Mensch ist auf seine ganz eigene Art einzigartig. Als Coach unterstütze ich meine Klienten dabei, dieses Unverwechselbare ihrer Persönlichkeit leuchten zu lassen. Ich helfe ihnen also lediglich dabei, ihr Potential zu entfalten. Aber ist Charisma schlussendlich so matchentscheidend?

Sagen Sie es uns!

Nehmen wir Ihre eingangs beschriebenen Szenarien. Krisenkommunikation. Investigatives Interview. Denken Sie, der Journalist wird weniger harte Fragen stellen, wenn sein Gegenüber etwas mehr Charisma hat? Ein erfahrener Journalist wird sein Ding durchziehen. Gehen wir zum Bereichsleiter. Wie beeindruckt er seine Mitarbeitenden, denen er neu vorgesetzt ist und die ihm die Beförderung teilweise vielleicht nicht gönnen? Durch eine inhaltlich starke Rede oder durch seine Ausstrahlung? Eher durch überzeugende Worte. Und jetzt nehmen wir noch die Präsentation der Masterarbeit. Denken Sie, die spitzfindigen Professorinnen lassen sich ablenken und beeindrucken vom Charisma der Studierenden? Höchstens ein bisschen.

Also würde ein bisschen Charisma auch dem frischgebackenen Bereichsleiter helfen, oder?

Ich sage nicht, dass Charisma unbedeutend ist. Charisma kommt aus dem Griechischen und bedeutet Göttergabe. Jeder hat das. Auch unser Bereichsleiter, wenn er seinen Stärken vertraut. Er muss nicht jedem gefallen, sondern nach eigenen Massstäben handeln.

Anstatt sich aber auf das sagenumwobene Charisma zu konzentrieren, würde ich dem Bereichsleiter Folgendes empfehlen: Brechen Sie mit langweiligen Routinen! Wagen Sie einen kreativen, ungewohnten Einstieg ins Quartalsmeeting! Es gibt so viele Möglichkeiten, Sitzungen, Retreats, Workshops und so weiter einzuleiten. Mit einem Bild? Einem Musikstück? Einer Ich-Botschaft, einer Anekdote, einer gewagten Hypothese, einer Frage… einfach anders! Das kann jeder – ganz unabhängig von Eloquenz, Charisma oder Erfahrung. Und die Wirkung ist enorm. Vor allem aber: Konzentrieren Sie sich nicht auf sich selbst, sondern auf Ihre Inhalte. Das Publikum werden Sie schlussendlich nämlich mit verständlichen Botschaften, die Hand und Fuss haben, überzeugen.

Okay. Nehmen wir Folgendes an: Unser Bereichsleiter ist kreativ, und an Ideen für einen wirkungsvollen Einstieg ins Quartalsmeeting mangelt es ihm nicht. Sein Problem ist die Umsetzung. Kaum steht er vor Publikum, treten ihm Schweissperlen auf die Stirn. Was machen Sie mit einem solchen Klienten?

Grundsätzlich spielt es keine Rolle, ob jemand vor Nervosität stark schwitzt, rot wird, stottert, Aussetzer oder sonstige Blockaden hat. Auslöser ist derselbe: Das Auftreten vor mindestens einem anderen Menschen.

Lassen Sie mich ganz kurz einen psychologischen Exkurs machen. Durch unser Handeln steuern wir unsere Resultate. Unser Handeln wiederum wird getrieben durch unser Denken und Fühlen. Wir programmieren uns selber, bewusst und unbewusst. Und Denken ist eine Gewohnheit. Wenn man daran arbeitet, kann man es verändern und bewusst beeinflussen.

Zwei Beispiele zur Beeinflussung unseres Denkens: Der Bereichsleiter kann mit seinem Schicksal hadern, dass er dieses Quartalsmeeting eröffnen und leiten muss. Oder er kann sich darüber freuen, dass er aufgrund seiner Fähigkeiten und Kompetenzen befördert wurde und die Ehre hat, das Quartalsmeeting zu eröffnen, um eine starke Botschaft zu platzieren. Der Bereichsleiter könnte seine Nervosität als extrem störend empfinden und sie verfluchen. Oder er könnte sie akzeptieren und nicht als hinderliche Nervosität, sondern als förderliche Aktiviertheit betrachten. Unterschiedliche Einstellungen, die sich auf alle drei Szenarien übertragen lassen und viel zum Zustand des Wohlbefindens beitragen können.

Damit ist es aber noch nicht getan, oder? Nur mit dieser positiven Einstellung kriege ich doch meine Nervosität nicht in den Griff.

Die Antwort von Marius Born lesen Sie im zweiten Teil unseres Interviews. Ausserdem werden Sie erfahren,

  • wie unser Bereichsleiter weiter gecoacht wird,
  • wie der CEO auf sein hartes Fernsehinterview vorbereitet wird,
  • wie es hinter den Kulissen eines Unternehmens in der Krise aussehen kann und
  • was Studierende bei der Präsentation ihrer Abschlussarbeit beachten sollen.

1) Ein Blogpost muss leicht lesbar sein und darf kein Geschlecht ausschliessen. Soll man also zum Beispiel „Rhetoriker/Rhetorikerin“ und „Held/Heldin“ schreiben? Die Forschung zu dieser Frage ist unschlüssig. Es könnte sein, dass Geschlechterstereotype so erst recht aktiviert werden. Wir haben uns deshalb am sprachlichen Balanceakt aus Lesbarkeit und Neutralität versucht, im Zweifelsfall aber die leichter lesbare Variante gewählt – in der Hoffnung, dass eine weiterentwickelte Sprache diesen Balanceakt künftig erleichtern wird.

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