Tortenstueck Tortenstueck
Ökonomen verwenden häufig das Sinnbild eines Kuchens, um Nullsummenspiele zu beschreiben: je mehr Melanie von dem Kuchen bekommt, desto weniger bleibt übrig für Reto, und umgekehrt. (Symbolbild)

Was sind Nullsummenspiele nochmal?

Von einem Nullsummenspiel spricht man, wenn zusätzlicher Wert für eine Person nur durch Kosten für andere Spieler entstehen kann. Verhandeln beispielsweise Melanie (Verkäuferin) und Reto (Käufer) über den Preis einer Kiste Äpfel, reduziert jeder Preisnachlass, den Melanie Reto gewährt, Melanies Marge. In gleicher Weise senkt jeder Preisaufschlag, dem Reto zustimmt, seinen persönlichen Nutzen aus dem Kauf.


Sind Verhandlungen Nullsummenspiele?

Viele Menschen gehen an Verhandlungen heran, als wären sie Nullsummenspiele. Sie nehmen an, dass ein für sie gutes Ergebnis stets schlecht für ihr Gegenüber wäre und ein für das Gegenüber gutes Ergebnis schlecht für sie. Für diese Menschen sind Verhandlungen häufig stressig, nicht selten empfinden sie dabei Angst oder Schuldgefühle.

Es gibt jedoch viele Situationen im Leben, die es erlauben, dass zwei Verhandelnde den Kuchen vergrössern, bevor sie ihn verteilen. Hier ist es möglich, gemeinsam Wert zu schaffen, also Einigungen zu treffen, die für die Parteien besser als ein blosser Kompromiss sind.

Stellen wir uns folgendes Beispiel vor: Melanie lernt Reto an ihrem Obststand kennen. Die beiden verstehen sich blendend, und nach einigen Jahren Bekanntschaft beschliessen sie zu heiraten. Die beiden beginnen nun darüber zu sprechen, wie sie ihre 14 Tage Flitterwochen verbringen wollen. Melanie möchte in die Alpen fahren und dort in einer Berghütte übernachten. Besonders freut sie sich bei dieser Idee auf die Bergwelt. Sie liebt es, alpin zu wandern und die dortige Tier- und Pflanzenwelt zu beobachten. Reto hingegen möchte an den Atlantik fahren und dort in einem teuren Wellnesshotel übernachten. Vor allem freut er sich dabei auf das Hotel. Er liebt Komfort, gediegenes Essen und ausgedehnte Spa-Besuche.

Gehen wir von der Nullsummenannahme aus, würden wir den beiden empfehlen, die 14 Tage in zwei Hälften zu teilen. Eine Woche wird Melanies Vorschlag umgesetzt, die andere Woche Retos. Wir könnten argumentieren, dass dies nicht nur vernünftig, sondern auch sehr fair sei. Es wäre in der Tat keine schlechte Empfehlung – allerdings auch nicht die Beste!

Wie vergrössern wir den zu verteilenden Kuchen?

Überlegen wir uns einmal, wie Melanie und Reto den Kuchen nicht nur verteilen, sondern auch vergrössern könnten. Hierfür ist es hilfreich, dass wir uns klar machen, dass Melanie und Reto nicht nur über einen Gegenstand verhandeln (die Frage, wie sie ihre Flitterwochen verbringen), sondern genau genommen über zwei: den geographischen Ort (Alpen oder Atlantik) und die Art der Unterkunft (Hütte oder Hotel). Offensichtlich ist für Melanie der Ort wichtiger als die Unterkunft. Für Reto hingegen scheint die Unterkunft wichtiger zu sein. Die beiden könnten den Kuchen somit vergrössern, indem sie die gesamten Flitterwochen in einem luxuriösen Wellnesshotel in den Alpen verbringen. Auf diese Weise erreicht Melanie die gesamten 14 Tage ihr wichtigstes Ziel, Zeit in der Bergwelt zu verbringen. Und auch Reto kann die gesamten Flitterwochen das machen, was ihm besonders am Herzen liegt, nämlich in einem schönen Hotel zu wohnen.

Und noch ein paar Begriffe aus der Verhandlungswissenschaft

In der Sprache der Verhandlungswissenschaft ausgedrückt, vergrössern Melanie und Reto den Kuchen, indem sie präferenzgeleitete Zugeständnisse machen. Denn jeder kommt bei jenem Gegenstand auf den anderen zu, der für ihn selber eine niedrige und für den anderen eine hohe Präferenz hat. Teilweise verwenden Wissenschaftler und Praktiker hierfür auch den Begriff Logrolling.

Wir haben jetzt ein paar zentrale Themen der Verhandlungspsychologie kennengelernt – und doch erst an der Oberfläche gekratzt. Denn neben präferenzgeleiteten Zugeständnissen gibt es noch weitere Möglichkeiten, den Verhandlungskuchen zu vergrössern: interessengeleite Zugeständnisse, hinzugefügte Verhandlungsgegenstände und integrative Kontingenzverträge. Sehr gute Erklärungen und Beispiele hierzu geben Deepak Malhotra und Max Bazerman in ihrem beliebten Praxis-Buch Negotiation Genius. Aber diese weiterführenden Themen heben wir uns für zukünftige Blogposts auf.

Fazit

Viele Verhandlungen in unserem Leben erlauben es, dass wir den Kuchen vergrössern, bevor wir ihn verteilen. Eine Möglichkeit dafür ist Logrolling. Das bedeutet, dass wir präferenzgeleitete Zugeständnisse machen, indem wir bei jenen Themen auf unsere Gegenüber zukommen, die für sie besonders wertvoll sind und im Gegenzug von ihnen Zugeständnisse bei jenen Punkten erhalten, die einen hohen Stellenwert für uns haben.

 


Weiterführende Informationen und Quellen:


Malhotra, D., & Bazerman, M. H. (2008). Negotiation Genius: How to overcome obstacles and achieve brilliant results at the bargaining table and beyond. Bantam.

Facebook Twitter Xing LinkedIn WhatsApp E-Mail