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Können mit Hilfe von Computeralgorithmen Persönlichkeitsprofile von Bewerbern erstellt werden? (Symbolbild)

Wenn eines fernen Tages jemand die Geschichte des Personalwesens schreibt, wird es vielleicht nicht sehr viel mehr sein als eine schier endlose Abfolge von Trends, die aus dem Nichts entstanden sind und mitunter auch besser dort geblieben wären: Outdoortrainings, Generation X, Y, Z, Coaching mit Pferden, Schafen oder Dirigenten, Recruiting-Events und vieles mehr.

Manche Trends verschwinden alsbald, nachdem jeder Speaker seinen Senf dazugegeben hat und das letzte Seminar erfolgreich vermarktet wurde. Andere hingegen verselbstständigen sich so weit, dass sie auf ewig in der „Hall of Fame“ der etablierten HR-Tools weiterleben. Vernunft spielt dabei ebenso wenig eine Rolle wie Evidenz – siehe NLP – denn schon allein die blosse Überlebenszeit gilt allzu vielen in der Szene als Indikator für Wahrhaftigkeit. Was Jahrzehnte überlebt, kann doch nicht falsch sein! Schliesslich haben die Menschen ja auch jahrhundertelang geglaubt, die Erde sei eine Scheibe – und das war ja auch richtig, oder etwa nicht?

Mit Computeralgorithmen Big Data in den Griff kriegen?

Seit kurzem schickt sich eine ganz neue Technologie an, ebenfalls zu einem Trend zu werden; und wer weiss, vielleicht ist es diesmal noch früh genug, um Zweifel zu sähen. Die Rede ist von dem Versuch, mit Hilfe von Computeralgorithmen Big Data in den Griff zu bekommen. Das erklärte Ziel ist dabei die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen.

Analysiert wird alles, was in den Algorithmus passt:

  • Beliebige Daten aus sozialen Netzwerken,
  • kleinste sprachliche Parameter wie etwa die Verwendung von Pronomen und Artikeln oder die Betonung und Lautstärke in einem Interview,
  • die Mimik eines Menschen und schliesslich sogar
  • seine Physiognomie.

Die Vermarktung funktioniert nach altbewährten Prinzipien: Viele bunte Charts erwecken den Eindruck überragender Leistungsfähigkeit der Tools. Einfältige Kunden lobpreisen öffentlich das neue Produkt und zeigen auf, wie anfängliche Zweifel in ihr Gegenteil verkehrt wurden. Assoziativ eingestreute Bezüge zur Forschung vermitteln den Eindruck, das Ganze sei irgendwie wissenschaftlich. Neutrale Berichte in den Medien werden als „Ritterschlag“ gefeiert. Hin und wieder traut sich sogar ein Anbieter, den einen oder anderen mathematischen Kennwert zu präsentieren. Dass dieser natürlich nicht auf unabhängiger Forschung basiert, versteht sich von allein – schliesslich muss der eigene Algorithmus vor neugierigen Forschern geschützt werden. Was der Kunde am Ende kauft, ist die sprichwörtliche Katze im Sack.

Was sagt der Blick in die Forschung?

Ein Blick in die Forschung verheisst nichts Gutes:

  • Aus der Mimik eines Menschen lässt sich zwar auf die aktuelle Stimmung, nicht aber auf zeitlich überdauernde Persönlichkeitsmerkmale schliessen.
  • In der Physiognomie eines Menschen stecken ebenfalls keine Informationen über die Persönlichkeit.
  • Internetdaten, wie sie sich etwa bei Facebook finden lassen, erklären bestimmte Persönlichkeitsmerkmale nur zu wenigen Prozent.
  • Dasselbe gilt für diverse Parameter der Sprache.
  • Selbst wenn eine der Technologien z. B. die Gewissenhaftigkeit eines Menschen zu 50 % erfassen könnte, so wäre der Persönlichkeitsfragebogen immer noch doppelt so gut, denn er dient als Kriterium zur Validierung der neuen Technologie. Oder anders ausgedrückt: Warum sollte man eine teure Technologie einkaufen, mit der sich 50 % von dem erklären lässt, was sehr viel einfacher und billiger zu 100 % zu messen wäre?
  • In der Personalauswahl geht es letztlich nicht um die Messung von Persönlichkeitsmerkmalen, sondern um die Prognose beruflicher Leistung. Persönlichkeitsmerkmale können nur vergleichsweise schlecht berufliche Leistung prognostizieren. Wenn nun beispielsweise ein Persönlichkeitsfragebogen zur Erfassung der Gewissenhaftigkeit berufliche Leistung zu 5 % erklärt und die neue Technologie ihrerseits die Gewissenhaftigkeit zu 10 %, so könnte man mit Hilfe der Technologie die berufliche Leistung nur zu 0,5 % prognostizieren (10 % von 5% = 0,5 %). Der simple Persönlichkeitsfragebogen wäre zehnmal aussagekräftiger als der sagenumwobene Algorithmus.
  • Bislang existieren keine wissenschaftlichen Studien, die eine prognostische Validität der neuen Technologien belegen.

Alles in allem ist die Befundlage zum gegenwärtigen Stand der Forschung eindeutig. Der Algorithmus kann nicht halten, was seine Vermarkter versprechen. Aber das wäre erfahrungsgemäss für viele Unternehmen noch kein Grund, sich gegen eine Technologie zu entscheiden, die so frisch daherkommt wie der Morgentau. Doch wer weiss, vielleicht steht diesmal ein ganz anderer Umstand der erfolgreichen Vermarktung entgegen: Wenn der durchschnittliche Personaler an eine Sache noch fester glaubt als an den nächsten Trend, dann ist es das heilige Bauchgefühl. Subjektiv erlebt er sich als das eigentliche Messinstrument der Personalauswahl, auch wenn die Forschung hartnäckig behauptet, er sei wohl eher der Messfehler. Eine Technologie, die dem Bauchgefühl des Personalers einen Computeralgorithmus entgegenstellt, dürfte sich nicht allzu viele Freunde in der Szene machen. Und siehe da, so kann auch mal aus einem Irrtum etwas Gutes entstehen.

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